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Wie mein Hund mir das Leben rettete – ein Interview
Es gibt Hund-Mensch-Geschichten, die verlaufen ganz unspektakulär: Mensch will einen Hund, Mensch holt sich einen Hund, und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende. Und dann gibt es Hund-Mensch-Geschichten, die sehr dramatisch sind und einen berühren. Zu Letzterem gehört die Geschichte von Mirjam Krenn und ihrem Hund Chester. Wir sind auf die beiden aufmerksam geworden, da Mirjam von Beginn an ein motiviertes Mitglied unserer Community war – sie hat immer fleißig kommentiert, geliked und Fotos ihres Hundes gepostet. Als wir jedoch von ihrer Geschichte erfahren haben, war klar: diese möchten wir mit unserer ganzen Community teilen. Darum haben wir ein Interview geführt, in dem Mirjam von den Höhen und Tiefen ihres Lebens erzählt.
dogtales: Mirjam, du sagst, du hattest zu der Zeit, als Chester in dein Leben getreten ist, mit vielem zu kämpfen – erzähl uns doch, was du damit meinst.
Mirjam: Ich leide seit meiner Geburt an einer unheilbaren Krankheit: Morbus Recklinghausen (Neurofibromathose Typ 1). Mit 6 Jahren bekam ich den ersten Schub und ich konnte nicht mehr deutlich sprechen, aber das legte sich bis zum Schulanfang wieder. Die Krankheit bringt auch leider Legasthenie mit sich. Mit 13 Jahren hatte ich einen erneuten Schub und bei einem Sportunfall verschob sich meine Wirbelsäule. Daraufhin wurde ich 1991 auf der Stolzalpe Murau an der Wirbelsäule operiert. Seitdem habe ich einen Eisenstab und 6 Schrauben in meiner Wirbelsäule. Ich musste zwei Mal ein Gipsmieder tragen und dann ein Stahlspangenmieder.
dogtales: Besonders für ein Kind muss das sehr schlimm gewesen sein!
Mirjam: Ja, die Schulzeit war nicht angenehm. Ich wurde zum Außenseiter, wurde angespuckt und gehänselt. Die Lehrer schritten nicht ein, sie meinten, sie könnten nichts tun.
dogtales: Wie ging es nach der Schulzeit für dich weiter?
Mirjam: Aufgrund meiner Krankheit wurde vom Sozialministerium der Grad meiner Behinderung auf 90 % festgesetzt. Nach der Schulzeit war es also sehr schwierig für mich, eine Arbeit zu finden. Ich war ganze 10 Jahre lang arbeitslos.
dogtales: Wie ging es dir in weiterer Folge gesundheitlich?
Mirjam: 2001 hatte ich einen erneuten Schub. Ich bekam am Po einen Weichteiltumor, der zum Glück entfernt werden konnte. Aber zwei Monate lang durfte ich nicht sitzen und nicht am Rücken liegen. Ich musste sogar beim Essen knien. Ich frage mich heute, wie ich das geschafft habe.
dogtales: Das klingt wirklich schlimm! Was bedeutete das für deinen beruflichen Werdegang?
Mirjam: Ich habe Laborassistentin gelernt, aber leider keine Arbeit bekommen. Durch eine Maßnahme vom AMS habe ich bei uns in der Pfarre Voitsberg gefragt, ob ich ein Praktikum machen kann. Der ehemalige Pfarrer Dr. Erich Linhardt sagte sofort ja, und ich durfte im Jahr 2002 mit meinem Praktikum beginnen. 2003 wurde ich dann von der Pfarre Voitsberg übernommen und ich hatte endlich einen Job.
dogtales: Da warst du sicher sehr froh!
Mirjam: Zuerst schon, ja. Aber da ich mich sehr gut mit dem PC auskenne und das Wörtchen „Nein“ in meinem Wortschatz nicht vorkommt, haben die anderen Mitarbeiter gleich mal gemerkt, dass man mit mir alles machen kann. Und so haben sich sehr viele Überstunden angesammelt, und auch ansonsten war es nicht ganz einfach, denn so einige Aussagen von meinen ehemaligen Kollegen haben mir weh getan: „Auf dich muss man ja Rücksicht nehmen – du bist ja behindert“.
dogtales: Das klingt ja schon nach Mobbing! Da hast du sicher sehr darunter gelitten!
Mirjam: Ja, das stimmt. Ich muss sagen, Streit und Konfrontation habe ich immer schon zu vermeiden versucht. Darum kam es dann, dass ich Anfang 2009 mit einer Lungenentzündung, Rippenfellentzündung, Magen-Darm-Grippe und Grippe daheim lag. Ich war noch nicht gesund, da kam ein Anruf von einer Kollegin, ob ich bitte am Montag arbeiten gehen könne, sie hätte Urlaub. Weil ich nicht „Nein“ sagen kann, ging ich, und am Ende dieser Woche brach ich zusammen und der Arzt musste kommen. 2008 wog ich noch 58 kg, zu diesem Zeitpunkt nur mehr 43 kg. Dazu kamen Burn-out, Essstörungen und Depressionen. Daher musste ich im Juli 2009 auf Reha nach St. Radegund bei Graz in die Psychiatrische Klinik. Es war nicht gerade leicht für mich.
dogtales: Wahnsinn, was du schon alles mitgemacht hast! Aber ab diesem Zeitpunkt ging es bergauf, richtig?
Mirjam: Ja, denn auf Reha gab es jeden Dienstag „Tiergeschützte Therapie“ bei Frau Apeska. Diese hatte zu diesem Zeitpunkt einen kleinen Welpen namens Ivo, einen Bolonka Zwetna. Ich verliebte mich in diesen Hund. 1kg Hund hatte ich da an der Leine und wenn er nicht mehr laufen wollte, durfte ich ihn tragen. Die Zeit verging dort und so musste ich schweren Herzens von Ivo Abschied nehmen. In meinem Entlassungsbericht stand, dass mir ein Tier guttun würde, am besten ein Hund, denn dann musste ich vor die Tür. Daher machte ich mich zu Hause mit meiner Mutter auf die Suche nach einem Hund dieser Rasse. Über eine Bekannte bekamen wir den Kontakt zu einer Züchterin in Oberösterreich, denn der Bolonka Zwetna war damals eher eine unbekannte Rasse in unserer Gegend. Sie schickte mir dann ein Foto von drei Welpen, und einer davon war Chester.
dogtales: Oh wie schön! Wann war das genau?
Mirjam: Chester wurde am 25.09.2009 geboren. Er war ein schwarzer Welpe mit weißen Pfoten – ich wollte immer einen schwarzen Hund haben. Am 25.11.2009 holten wir ihn ab, ich war zu diesem Zeitpunkt 32 Jahre alt. Als ich meinen Welpen, mein Baby zum ersten Mal in den Armen hielt, hatte ich Tränen in den Augen. Mein Chester, mein Sonnenschein, mein Ein und Alles, mein ganzes Glück lag in meinen Händen.
dogtales: Eine herzerwärmende Geschichte! Wie kam es zu dem Namen Chester?
Mirjam: Die Züchterin sagte, dass der Welpe noch keinen Namen habe, aber irgendetwas mit C sollte es sein. Nach einer Internetrecherche nach Namen mit C und dem Foto von dem Welpen vor Augen, wurden wir bald fündig und entschieden, dass Chester perfekt passe.
dogtales: Und warum ist es ausgerechnet ein Bolonka-Zwetna geworden?
Mirjam: Ein kleinbleibender, nicht haarender Hund musste es sein – wegen meinem Vater. Er war jahrelang Alkoholiker und hatte eine Fremdleber. Zuerst hieß es, dass wir aufgrund dessen gar keinen Hund nehmen könnten, aber nach Erkundigungen bei der Transplantationsklinik stellte sich das als Fehlinformation heraus. Mein Vater war trotzdem ganz und gar nicht begeistert, aber meine Mutter konnte ihn überzeugen.
dogtales: Wie hat sich die Situation zwischen deinem Vater und Chester dann weiterentwickelt?
Mirjam: Als wir mit dem Welpen heimkamen war er sprachlos. Ihr müsst euch vorstellen, mein Vater hatte 110 kg und hielt 1 kg Hund in den Händen. Sie haben sich bald verstanden. Leider verstarb mein Vater knapp 4 Monate später an Bauchspeicheldrüsenkrebs.
dogtales: Das ist sehr bewegend. Du sagst, Chester habe dein Leben gerettet. Wie hat er das geschafft?
Mirjam: Wenn Chester nicht gewesen wäre, wäre ich heute sicher nicht mehr. Ich leide nach wie vor an Depressionen, Verlustängsten uvm. Aber Chester ist da und hilft mir, auch wenn es schwer für mich ist die Krankheit zu ertragen. Er liebt mich so wie ich bin. Er zaubert mir immer ein Lächeln ins Gesicht und gibt mir so viel Kraft.
dogtales: Glaubst du daran, dass Tiere die Kraft haben, zur Genesung beizutragen?
Mirjam: Ja, eindeutig! Und ihnen kann man nichts vormachen: Du kannst einen Menschen anlächeln und sagen „Es geht mir gut!“, aber einen Hund kannst du nicht täuschen, der spürt das.
dogtales: Wie geht es dir heute gesundheitlich bzw. allgemein mit Chester?
Mirjam: Seit 2014 bin ich in der Arbeitsunfähigkeitspension und genieße jeden Augenblick mit meinem Sonnenschein. Ich bin so froh, dass es Chester gibt.
dogtales: Was ist eure gemeinsame Lieblingsbeschäftigung?
Mirjam: Wir lieben es, gemeinsam spazieren zu gehen, Ball zu spielen. Er liebt es, fotografiert zu werden und Versteckspiele. Chester hat mich sehr gut erzogen, ich tu alles für ihn (lacht).
Mirjam, wir danken dir für deine Offenheit, dass du deine bewegende Geschichte mit uns geteilt hast, und wünschen euch beiden für die Zukunft alles erdenklich Gute!
Falls auch ihr eine Geschichte habt, die ihr mit der dogtales-Community teilen wollt, schreibt uns doch!